Das Wunschdenken der Europäer

 

04.08.2021

 

Auch US-Präsident Biden ist kein europäischer Präsident. Wie alle seine Vorgänger ist er zunächst und vor allem ein Präsident seines Landes.

 

In den Jahrzehnten, in denen ich mich mit den Vereinigten Staaten beschäftige, ist mir immer deutlicher geworden, dass es sich vor US-Wahlen bei diesen Hoffnungen der Europäer um Wunschdenken handelt. Wir können zufrieden sein, wenn der gewählte Präsident eine Interessenkongruenz zwischen den USA und der Europäischen Union  sieht und anerkennt. Über die Jahre haben  die emotionalen Bindungen zwischen uns und den Amerikanern abgenommen. Sie sind heute mehr durch ähnliche Interessen geleitet als von  gemeinsamen Werten bestimmt. Das ist auch angemessen.

 

Präsident Obama kam unseren Vorstellungen noch am nächsten. Er löste in Europa mehr Emotionen aus und empfing mehr Sympathien bei uns als in seinem eigenen Land. Aber auch er vertrat zuerst die amerikanischen Interessen. Nur dass diese unseren näher waren und erst unter Präsident Trump verdrängt wurden. Aber das Schlagwort „Pivot to Asia“, deutete auch schon bei Obama darauf hin, wohin die Reise ging.

 

Die Hoffnungen auf Präsident Biden  haben sich jedoch dahingehend erfüllt, dass Meinungsunterschiede zivilisierter beigelegt werden  als das unter Trump geschah. Ein neuer Ton macht die Musik. Aber dennoch gibt es auch hier Unterschiede in den Positionen. Besteht zwischen Trumps „Amerika First“ und Bidens „Buy  All American“ wirklich ein so großer Unterschied? Politik, vor allem Sicherheits- und Wirtschaftspolitik sind den nationalen Interessen untergeordnet. Das gilt im Übrigen auch für uns Europäer.

 

Frau Merkel hat dies bei ihrem letzten Besuch in Washington unter Beweis gestellt, als sie den Weiterbau von Nord-Stream-Two durchgesetzt hat – übrigens gegen den Willen der meisten unserer EU-Partner. Das geht aber nur einmal und wird nicht wiederholt werden können. In dieser Angelegenheit ist die Parlamentsmehrheit in Washington gegen uns. Die Rechnung kommt bestimmt.

 

Trump befindet sich bereits wieder im Wahlkampfmodus. Er setzt alle Hebel in Bewegung, die ihm „gestohlene“ Präsidentschaft zurück zu holen.  Uns fällt es schwer zu verstehen, dass die Mehrheit der Republikaner immer noch hinter diesem Präsidenten steht. Die Angst, ohne Trump die Wahlen zu verlieren, geht bei ihnen um und lähmt jeden Widerstand.  Der wichtigste Hebel ist die Manipulation des Wahlrechts. In einigen republikanischen Staaten bemüht man sich, das letzte knappe  Wahlergebnis in sein Gegenteil zu verkehren. Der Zugang zur Briefwahl wird erschwert, um damit die Teilnahme der  sozialen Unterschicht zu begrenzen.

 

Die US-Regierung konzentriert sich ganz auf  China, ihren zur Zeit wichtigsten Gegner. Auf Grund unserer Handelsinteressen gibt es keine völlige Übereinstimmung gerade mit Deutschland. Die EU ist gespalten. Wir brauchen eine einheitliche Haltung, um nicht ohne eigene Gestaltungsmöglichkeit in diesen Konflikt hineingezogen zu werden. Ähnliches gilt auch für Russland, unseren sehr nahen Nachbarn.

 

Dennoch, seit Trumps Wahlniederlage haben sich die Beziehungen verbessert. Allerdings wird auch Präsident Biden Forderungen an uns stellen. Zum Glück ist aber sein Weltbild dem unseren ähnlicher.

 

Und ein weites caveat: Wie die nächsten Präsidentschaftswahlen in den USA ausgehen werden, ist nicht vorherzusagen. Dieser Wahlkampf wird noch schmutziger werden als der letzte. Biden muss verloren gegangene Wählerschichten zurückgewinnen. Er hat einen ersten Erfolg mit der Durchsetzung des größten Konjunkturprogramms der US-Geschichte in Höhe von 1.9 Billionen Dollar erzielt. Dieses schuldenfinanzierte Programm birgt große Risiken und muss die richtigen Empfänger erreichen.

 

Für Europa wäre nichts schlimmer als eine Rückkehr von Trump.

 

Jürgen Chrobog

Präsident Politik des Europäischen Senates der Wir Eigentümerunternehmer

Staatssekretär des Auswärtigen a.D. (2001-2005)

Botschafter a.D. (Washington 1996-2001)